Road Trips: Imagine places you’ve [never] been before

Mit dieser Unterrichtsreihe wird das Bildarchiv von Google Street View in seinem Potential als künstlerisches Material erforscht. Es wird zum Ausgangspunkt für die Erprobung von aktuellen künstlerischen Strategien, von Remix, Mashup und Performance. Welche Imaginationsräume eröffnen Interaktivität, Zeitsprünge und Brüche in den Bildern? Welche Rolle spielt leibliche Anwesenheit oder Abwesenheit für Prozesse der Raumwahrnehmung? Welche Erzählungen entstehen durch performative und audiovisuelle Erweiterungen des Bildmaterials? Welche Reflexionsanlässe bringt die ästhetisch-künstlerische Auseinandersetzung mit dem alltäglich gewordenen Bildmaterial hervor? Wie umgehen mit der globalen Dokumentationspraxis öffentlicher Räume und Datensammlung von GSV?
In der Unterrichtsreihe wird die ästhetische Aufmerksamkeit gegenüber einem alltäglich gewordenen Bildmaterial erhöht. Experimente mit künstlerischen Strategien der Verfremdung, Umdeutung und Erweiterung können zweckrationale Wahrnehmungsgewohnheiten irritieren, infrage stellen und neue Denk-, Reflexions- und Handlungsräume eröffnen.

Im Alltag hat sich Google Street View fest etabliert als Tool zur schnellen Navigation, zur Erkundung des nächsten Urlaubsziels, als Vorabcheck und Entscheidungshilfe auf Wohnungssuche. Seit das Tool 2007 auf den Markt gekommen und auf begeisterte Anwender*innen gestoßen ist, wurde die Dokumentationspraktik von Google und das dabei entstehende Bildarchiv gleichzeitig auch als dystopische Realität einer universellen Überwachung kritisiert (vgl. Ingraham/Rowland 2016). Inzwischen haben zahlreiche Künstler*innen das Bildmaterial zum Ausgangs- und Referenzpunkt eigener Arbeiten gemacht. Johanna Steindorf entwickelt in ihren Arbeiten present views of past streets auf der Basis von GSV experimentelle Videoarbeiten mit binauralen Tonaufnahmen. Im Rahmen der Transmediale 2010 entwickelte das Künstler*innenkollektiv F.A.T. Lab (Aram Bartholl u.a.) ein Fake Google Street View Car und sorgte in den Straßen von Berlin für Aufsehen. Auf Instagram dokumentiert Jacqui Kenny ihre virtuellen Reisen. Mit der Arbeit von Mishka Henner No Mans Land verbinden sich ethische und kunstwissenschaftliche Fragen gleichermaßen – wie verschiebt und verändert eine technologisch gesteuerte, automatisierte, fotografische Praktik wie von GSV das Verständnis von Photographie? Diese vielfältigen künstlerischen Strategien im Umgang mit GSV stellen den Inspirationspool der folgenden Unterrichtsideen dar. Die Unterrichtsideen basieren auf spielerisch-experimentellen Annäherungen an das alltäglich gewordene Bildmaterial und regen zu Möglichkeiten der künstlerischen Materialtransformation und Reflexion an.

Die folgenden Aufgabenstellungen verstehen sich als Anregungen und sollten individuell für die jeweilige Lerngruppe angepasst, zusammengestellt und differenziert werden!

BASISAUFGABEN

A1: Talk about it! Sammle und dokumentiere dein eigenes Wissen und fremdes Wissen über Google Street View (GSV): Wann und wofür benutzt du GSV im Alltag? Führe Interviews in deiner Schule/Familie/ Freund*innenkreis: Wie nutzen andere in deinem Umfeld GSV?

A2: How to? Welche Funktionen bietet Google Street View in der Anwendung? Zeigt euch gegenseitig bei GSV Wege, die ihr sehr häufig geht. Erstellt „unterwegs“ eine Legende mit kurzen Funktionsbeschreibungen zu den Tools, die ihr benutzen könnt. (Bsp.: Was bedeutet der Pfeil im Kreis? Was bedeutet das weiße Rechteck?)

A3: Do research! Bildet Expert*innenteams und recherchiert: Welche Gebiete der Erde haben die GSV-Autos bereits dokumentiert? Warum glaubt ihr, ist Deutschland im Vergleich zu anderen EU Ländern bisher ein GSV-„Flickenteppich“? Welche Kritik wird an GSV geübt? Welche Optionen bietet GSV beim Stichwort Datenschutz an? Wie hat sich GSV im Laufe der letzten 10 Jahre entwickelt, welche technischen Erweiterungen sind derzeit geplant?

A4: Explore! Wann wurde unsere Stadt von Google dokumentiert? Gibt es Aufnahmen von der Umgebung unserer Schule? Sammelt Screenshots aus der Umgebung eurer Schule. Ab ins Feld! Erkundet die Umgebung der Schule und sucht die Orte eurer ausgewählten Screenshots auf. Was hat sich verändert? Fotografiert die Orte, damit ihr später ein Vergleichsbild in der Hand habt.

Zurück in der Schule: Vergleicht die Screenshots mit euren eigenen Fotos. Welche Dinge haben sich verändert? Worauf verweisen die sichtbaren Spuren? Witterung? Abriss? Stadtplanung? Besitzer*innenwechsel?

MATERIALIEN: Rechner, Smartphones, Tablets, Stift und Papier
Optional: Aufnahmemikros, Fotokameras, Drucker

GESTALTUNGSAUFGABEN

A5: Spazieren in [d]einer Stadt
INSPIRATION: Johanna Steindorf: Present Views on past streets

#1 Fokus Bildmaterial

Stelle dir einen Timer auf 3 Minuten (Zeit je nach Zielgruppe entsprechend anpassen, es reichen auch 30 Sekunden!) Starte über den Quicktime Player oder eine entsprechende Software eine Bildschirmaufnahme. Wähle nun einen beliebigen Startpunkt auf der Karte von GSV in [d]einer Stadt. Spaziere klickend und zoomend durch die Gegend und schau dich um. Folge deiner Intuition, gehe dorthin, wo es dich hintreibt. Beobachte dich dabei selbst. Was weckt deine Neugierde? Wenn du etwas entdeckst, das dich besonders interessiert, mache einen Screenshot und schreibe dir eine kurze Notiz, warum dich etwas interessiert. Beende deinen Spaziergang nach 3 Minuten. Wähle aus deinen Notizen/Screenshots eine Entdeckung aus, von der du den anderen in deiner Klasse erzählen kannst.

#2 Fokus Phantasie

Schaue dir das Video von deinem Spaziergang noch einmal am Bildschirm an. Tauche nun tiefer in deinen Spaziergang ein. Welche Assoziationen und Gedanken kommen dir unterwegs in den Kopf? Wie klingt deine Umgebung? Wie ist die Atmosphäre um dich herum? Wonach riecht es? Wem begegnest du unterwegs? Möglichkeiten: Halte deine Ideen als Audioaufnahme fest. Hierfür kannst du die Aufnahmefunktion deines Smartphones, eine entsprechende Software auf dem Rechner oder ein Tonaufnahmemikro nutzen. Anschließend kannst du die Tonspuren zum Beispiel bei Audacity nachbearbeiten und passend für deine Bildschirmaufnahme zusammenschneiden. Alternativ: Schreibe deine Gedanken als Erlebnisbericht auf.

#3 Fokus Sound

Schaue dir die Bildschirmaufnahme von deinem Spaziergang ein weiteres Mal genau an. Stell dir vor, du gehst diese Straßen entlang. Welche Geräusche kannst du auf deinem Spaziergang hören? Autos? Stimmen? Tiere? Notiere alle Geräuschideen, die du hast. Suche danach im Internet nach passenden und kostenlosen Audiofiles, zum Beispiel auf www.hoerspielbox.de. Erweiterung A: Sammle mit einem Aufnahmemikro oder deinem Smartphone Soundquellen, die zu deinem Spaziergang passen. Erweiterung B (Möglichkeit in der eigenen Stadt): Nun geht es raus! Gehe in deiner Stadt mit einem Audioaufnahmegerät oder deinem Smartphone an die Orte deines GSV-Spaziergangs und sammle #Fieldrecordings. Anschließend kannst du die Tonspuren zum Beispiel bei Audacity bearbeiten und passend für deine Bildschirmaufnahme zusammenschneiden.

#4 Fokus Überlagerung Bild und Sound

Bringe in einem Videoschnittprogramm (bspw. imovie oder MovieMaker) dein Film- und Audiomaterial zusammen.

#5 Fokus Reflexion

Welche Unterschiede gibt es zwischen einem Spaziergang bei GSV und einem Spaziergang in der Stadt?
Welche Auswirkungen hat das digitale oder analoge Spazieren auf dein Zeit-, Raum- und Körperempfinden?

MATERIALIEN: Rechner, Smartphones, Tablets, Software für Screenrecordings, Software zur Video- und Audiobearbeitung, Stift und Papier, Optional: Aufnahmemikros

A6: ROADTRIPS

INSPIRATION: Jacqui Kenny: Agoraphobic traveller

#1 Wohin würdest du gerne mal verreisen? Was ist es, was dich an diesem Ziel besonders interessiert? Wie stellst du dir diesen Ort vor? Schreibe deine Gedanken auf. Suche deinen Reiseort anschließend bei GSV auf. Schau dich um und dokumentiere deinen Spaziergang durch die Funktion der Bildschirmaufnahme.
Alternative zur Bildschirmaufnahme: Sammle auf deiner Reise Screenshots.

#2 Tauche ein in diesen dir unbekannten Ort und sammle durch deine Vorstellungskraft Informationen über die Atmosphäre vor Ort. Wie ist das Wetter? Was hörst du für Stimmen und Geräusche? Wonach riecht es in der Luft? Kannst du etwas schmecken? Sammle deine Assoziationen in einer Mindmap.

#3 Nutze deine Mindmap, um einen Erlebnisbericht über deine Reise zu schreiben. Setze deiner Phantasie dabei keine Grenzen. Wenn es dir hilft, schau dir den Film/die Screenshots deines Spaziergangs noch einmal an. Achte dabei auf kleine Details!

#4 Präsentiere deinem Publikum zum Abschluss deinen Reisebericht. Visuell kannst du deinen Vortrag durch die Projektion deines Filmes oder durch ausgewählte Screenshots bereichern.
Alternative: Wähle aus deinen Screenshots X Bilder aus und dokumentiere deine Reise auf #Instagram. Wenn du dich mit Bildbearbeitungsprogrammen auskennst, kannst du die Screenshots im Vorfeld noch bearbeiten. Nutze deinen Instagram-Auftritt, um den anderen von deiner Reise zu berichten.

MATERIALIEN: Rechner, Smartphones, Tablets, Software für Screenrecordings, Software zur Video- und Audiobearbeitung, Stift und Papier
Optional: Bildbearbeitungsprogramme, Beamer

A7: ERINNERUNGSRÄUME

INSPIRATION: Johanna Steindorf: Present Views on past streets

#1 Fokus Biografisches Arbeiten und das Spiel mit Fiktion

Überlege dir einen Ort, mit dem du viele Erinnerungen verbindest. Vielleicht hast du dort mal gewohnt oder bist im Urlaub dort gewesen? Überprüfe, ob es für diesen Ort GSV-Aufnahmen gibt. Schließe für einen Moment die Augen und versuche dich sehr genau an diesen Ort zu erinnern. Welche Bilder kommen dir in den Kopf? Kannst du dich noch erinnern, wonach dieser Ort gerochen hat? Wem bist du dort begegnet? Gab es bestimmte Wege, die du dort gegangen bist? Wie hast du dich an diesem Ort gefühlt? Notiere deine Erinnerungen. Suche diesen Ort anschließend bei GSV. Spaziere an diesem Ort durch die Straßen und filme deinen Spaziergang über die Bildschirmaufnahme. Erzähle beim Spazieren von deinen Erinnerungen. Möglichkeiten: Kommentare/Erinnerungen zur Weiterarbeit als Audioaufnahme festhalten, anschließend Überlagerung von Film- und Audiomaterial, Ergänzung durch eigene Soundaufnahmen oder gefundenes Soundfiles.

Erweiterungsmöglichkeiten (für Kleingruppen von 3-4 Personen).

#2 Fokus Zielformat Video

·       Erzählt euch in der Gruppe besondere Erlebnisse, die ihr mit einem bestimmten Ort verbindet. Damit ihr mit eurem Material weiterarbeiten könnt, überprüft zur Sicherheit, ob dieser Ort von GSV dokumentiert wurde. Erzählt den anderen möglichst detailliert von euren Erinnerungen an diesen Ort, beschreibt die Atmosphäre, Gerüche, Geräusche, Architektur, Begegnungen… Nehmt eure Erzählungen als Audioaufnahme mit dem Handy auf, die Audiodatei dient als Erinnerungshilfe. Nachdem ihr alle eure Erlebnisse erzählt habt, habt ihr schon viel Material gesammelt, um eine neue Geschichte über eine fiktive Person zu erfinden. Eure eigenen Geschichten könnt ihr frei zerteilen, neu zusammenfügen, verändern und erweitern. Wie heißt eure Protagonistin? An welchem Ort befindet sie sich? Warum ist sie dort?

·       Sucht nun den Ort, an dem eure Geschichte spielen soll, bei GSV und spaziert durch die Straßen. Improvisiert zunächst eure Ideen zu einer Geschiche, indem ihr mit dem Satz „Dies ist die Geschichte von [Name] …“ beginnt und euch im Erzählen abwechselt. Tipp: Baut in eure Geschichten viele Beschreibungen zur Umgebung und zur Atmosphäre ein. Filmt euren Spaziergang über die Bildschirmaufnahme und dokumentiert eure improvisierten Erzählungen als Audioaufnahme. Mit dem Material könnt ihr weiter arbeiten, indem ihr die Geschichte nach dem Anhören verfeinert. Ergänzend könnt ihr mit passenden Musik, Soundkulissen etc. eine Audiospur über das Video legen.

#3 Fokus Zielformat Live-Performance:

·       Vorgehen wie in #2. Die Bildschirmaufnahme des GSV-Spaziergangs wird über Beamer an die Wand projiziert. 2-3 Personen improvisieren eine Live-Erzählung zum Video. Es kann sowohl mehrere Erzählstimmen geben, als auch verteilte Rollen von Protagonist*innen, die im Video als Personen auftauchen. Das experimentelle Vorgehen kann im Prozess durch analoge Soundquellen, Licht und Kostüm erweitert und verdichtet werden.

MATERIALIEN: Rechner, Smartphones, Tablets, Software für Screenrecordings, Software zur Video- und Audiobearbeitung, Stift und Papier

Optional: Beamer, Instrumente und andere Soundquellen, Kostüme

Der Ablauf des Projektes ist nicht festgelegt, sondern funktioniert als individuelle Zusammenstellung der einzelnen Bausteine je nach Lerngruppe.

Generell sollten in der Umsetzung jedoch folgende Projekt-Phasen berücksichtigt werden:

Phasen der Kontextualisierung: Informationsrecherche zu GSV

Phasen der Inspiration: Rezeption und Reflexion künstlerischer Arbeiten

Phasen des Erarbeitung: Tutorien zur Vermittlung von Basisfertigkeiten in Audio- und Videoproduktion, sicheren Umgang mit Hard- und Software entwickeln.

Phasen der Improvisation und des Experiments: Erprobung von Gestaltungsmöglichkeiten

Phasen der zielgerichteten Gestaltung: individuelle oder gemeinschaftliche Erarbeitung einer eigenen künstlerischen Arbeit

Phasen der Reflexion und Feedback: Prozessbegleitend in jeder Einheit

Hardware:
Rechner/Tablets/Smartphones;
Tonaufnahmemikros (Erweiterung: In-Ear-Mikro für binaurale Soundaufnahmen)

Für performative Settings erweiterbar durch: Beamer, Projektionsflächen, Mikrofone, Licht, Lautsprecher, Requisiten

Software:
Screenrecording Software;
Audio- und Videoschnittprogramme;

Für das Screenrecording (Bildschirmaufnahme) eignet sich bei Mac Usern der Quicktimeplayer, bei Windows über VLC Mediaplayer, Active Presenter, Cam Studio o.ä.

Als Open Source Programm für Audioproduktion bietet sich bspw. Audacity an.
Für Videoschnitt und –bearbeitung eignet sich für Mac User imovie, für Windows Moviemaker

Dauer

360 min

Benötigtes Vorwissen

Grundlagenkenntnisse über Audio- und Videoproduktion bei der Lernbegleiter*in
IDEEN: Grundfertigkeiten können als Tutorium in die Unterrichtsreihe eingebettet werden (Möglichkeit für junge Alltagsexpert*innen ihr Wissen zu teilen!)

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