Ein Fahrrad ist mehr als nur ein Metallrahmen mit zwei Rädern, mit dem man von A nach B kommt. Wenn wir mit dem Fahrrad fahren, haben wir Anteil an einer größeren Infrastruktur, zum Beispiel an Verkehrsgesetzen und -vorschriften, am Fahrradhandel, an natürlichen Ressourcen – die Reifen etwa bestehen aus Gummi –, an der Fahrradkultur und vielem mehr. Das Gleiche gilt für Softwaresysteme, die Künstliche Intelligenz (KI) nutzen. Wenn wir unser Handy entsperren und Google Maps öffnen, um uns eine Reiseroute vorschlagen zu lassen, nutzen wir ebenfalls nicht einfach KI, sondern ein komplexes System, das über die Software selbst hinausgeht.
Es ist nicht Ziel des Workshops, den Teilnehmer*innen technische Definitionen von KI beizubringen. Denn bereits der Begriff der Künstlichen Intelligenz ist umstritten, es gibt keinen Konsens bezüglich ihrer Definition. Diese ist dynamisch und zudem politisch aufgeladen, da schon die Festlegung dessen, was KI ist, die gegenwärtige und zukünftige Entwicklung dieser Technologie sowie die Einstellung der Öffentlichkeit ihr gegenüber prägt. Mit diesem Workshop möchten wir dazu anregen, KI als ein komplexes System – eine soziotechnische Assemblage – zu betrachten, indem wir uns auf diejenigen Aspekte konzentrieren, die KI über den reinen Code hinaus ausmachen: menschliche Arbeitskraft, der Verbrauch natürlicher Ressourcen und Auswirkungen auf die Umwelt sowie andere soziale, kulturelle und materielle Komponenten, die in den vorherrschenden Narrativen über KI oft übersehen werden.
Mithilfe von Aufgabensets in vier Bereichen werden die Teilnehmer*innen ermutigt, zeitgenössische Techniktrends, Ereignisse, Diskurse und Ideen rund um KI-Technologien kreativ zu entschlüsseln und neu zu kodieren, um auf diese Weise kritische Einsichten über ihre eigene Beteiligung an umfassenden KI-Systemen zu generieren.
Die folgenden Aufgaben werden in Kleingruppen bearbeitet.
Wählt einen Aufgabenschwerpunkt und bearbeitet ihn in eurer Gruppe.
I. Mensch (Arbeit): Spürt den Menschen hinter der Technologie auf.
Aufgabe: Wenn ihr eine App öffnet, erscheint diese wie ein in sich geschlossenes KI-Programm, das autonomen Code ausführt und den Bildschirm mit perfekt platzierten Schaltflächen, Symbolen und Interaktionsangeboten ausfüllt. Aber jede Software, mit der wir interagieren, ist auch eine Manifestation menschlicher Arbeit. Und das meint nicht nur die Stunden, die Entwickler*innen in die Programmierung stecken. Ein Großteil der Sortierung unserer Social-Media-Feeds hängt zum Beispiel von menschlichen Moderator*innen ab, die stundenlang vor den Bildschirmen sitzen und als anstößig oder verletzend markierte Inhalte sichten und filtern.
Anleitung: Durchstöbert die Benutzer*innenoberfläche eures Handys und findet die verborgenen Menschen, die hinter dieser Oberfläche arbeiten.
II. Natur (Energie und Ökologie): Serverfarmen produzieren Emissionen, genauso wie Bauernhöfe. Verwandelt eine Serverfarm in eine umweltfreundliche Farm.
Aufgabe: Der Verdauungsprozess von Kühen erzeugt immense Mengen an Methanemissionen, die zur globalen Klimaerwärmung beitragen. Genau wie diese unsichtbaren Verdauungsprozesse hat auch jede Google-Suche, jeder Instagram-Filter oder jede TikTok-Empfehlung einen CO2-Fußabdruck. Die meisten KI-Algorithmen sind auf ressourcenintensive Berechnungen angewiesen, die auf großen Serverfarmen irgendwo auf der Welt stattfinden. Dabei handelt es sich nicht um Bauernhöfe voller Kühe, sondern um Orte voll blinkender schwarzer Kästen, die jede Millisekunde des Tages Daten empfangen, verarbeiten und in die ganze Welt senden.
Anleitung: Findet eine echte Serverfarm irgendwo auf der Welt und verwandelt sie in eine umweltfreundliche Farm.
III. Werte: Wenn App-Werbung ehrlich wäre… Erfindet eine ehrliche Werbung für eine App.
Aufgabe: Hinter jeder Produktwerbung und jedem Firmenslogan verbergen sich bestimmte Absichten, Werte und ideologische Ansichten, die ein Unternehmen ausmachen. Auch KI-Software selbst ist nie neutral: Sie ist von den Werten und Überzeugungen ihrer Urheber*innen geprägt. Die Inhaltsfilter von Facebook sperren zum Beispiel regelmäßig Konten von Personen, die klassische Kunst posten, auf der weibliche Nacktheit dargestellt ist. Wenn eine App wie Facebook ehrliche Werbung schalten würde, wie würden ihre Slogans lauten?
Anleitung: Denkt euch eine ehrliche Werbung für eine App aus.
IV. Kapital: Folge dem Geld.
Aufgabe: Der KI-Markt ist in einer kapitalistischen Wirtschaft verwurzelt. Mit kostenloser Software wie Google Maps lässt sich oft Geld verdienen, indem Daten gesammelt werden, die als Grundlage für Marketingsoftware und -systeme dienen. Wenn wir also fortschrittliche Technologien kostenlos nutzen, helfen wir oft anderen Unternehmen dabei, uns Produkte und Dienstleistungen noch überzeugender zu verkaufen. Die meisten kostenlosen Apps haben zwei Märkte: die Nutzer*innen und die Unternehmen, die sie für den Zugang zu den Nutzer*innendaten bezahlen. Die meisten kostenlosen Technologien werden durch einen solchen mehrseitigen Markt finanziert.
Anleitung: Werdet zum Detektiv. Wählt eine kostenlose App auf eurem Handy aus und „folgt dem Geld“, um herauszufinden, wie sie ihren Gewinn erwirtschaftet.
Nun werden die A4-Seiten, die von den Kleingruppen gestaltet wurden, in einem Zine zusammen
Unter „Weiterführendes“ finden sich einige Ressource zur Erstellung eines Zines und Links zu verschiedenen Beispielzines zur Inspiration.
Anleitung für ein Zine aus Papier:
Eröffnung der Diskussion (10 min): Begrüßen Sie die Teilnehmer*innen und erklären Sie, worum es in diesem Workshop bzw. dieser Unterrichtssequenz geht. Geben Sie kurze Anweisungen für die nächsten Schritte. Stellen Sie klare Erwartungen an die Teilnehmer*innen und finden Sie heraus, wie viel sie bereits über KI wissen.
Stellen Sie eine persönliche Verbindung zur digitalen/algorithmischen Technologie her (10 min): Beginnen Sie mit einer kurzen Klassenaktivität als Eisbrecher, bei der die Teilnehmer*innen einen persönlichen Gegenstand online recherchieren. Sie können einen Gegenstand aus ihrer Tasche nehmen und ihn über eine Suchmaschine oder eine Social-Media-Seite ihrer Wahl suchen. Was wird als erstes Ergebnis angezeigt, wenn sie nach Begriffen wie Smartphone, Flasche oder Apfel suchen? Lassen Sie die Teilnehmer*innen in kleinen Gruppen diskutieren: Was sagt das Suchergebnis über die Funktionsweise der jeweiligen Plattform aus? Welche Prioritäten setzt sie, was gibt sie zuerst zu sehen?
Wir empfehlen zur Vorbereitung die folgenden Materialien anzusehen: das Video Wie Maschinen diskriminieren und den Aufsatz Ethik mit gebührendem Abstand von Kate Crawford (siehe Weiterführendes).
Wählen Sie nach der ersten Gruppendiskussion im Anschluss an den Eisbrecher ein anschauliches Beispiel aus und erklären Sie exemplarisch die soziale Dynamik von Algorithmen anhand des bereitgestellten Materials. Geben Sie einen kurzen Einblick darin, wie Algorithmen technisch funktionieren. Wie treffen sie Entscheidungen? Was passiert hinter dem Bildschirm?
Überleitung zur nächsten Aktivität: Wählen Sie ein Beispiel aus den Aufgabenstellungen und erklären Sie den Ansatz der Übung. Beziehen Sie sich auf die bereitgestellten Quellen, um den Schüler*innen die Übung zu erklären.
Erklären Sie, was ein Zine ist und worin die nächsten Schritte bestehen. Teilen Sie die Klasse in Gruppen mit je 3 Schüler*innen ein. Jede Gruppe wählt eine Aktivität/Aufgabe sowie eine Seite des Zines zum Ausfüllen. Die Schüler*innen setzen sich nun mit den Aufgabensets auseinander und erstellen das Zine. Unterstützen Sie ggf. die Gruppenrecherche und Herstellung des Zines (siehe Anweisungen oben). Lassen Sie alle Workshopteilnehmer*innen ihre Zine-Seite präsentieren.
Hinweise: Bestimmen Sie den Zeitumfang je nach Alter und Arbeitsablauf der Schüler*innen. Bei einer Teilnehmer*innenzahl von 30 Schüler*innen können mehrere Gruppen dieselbe Aufgabenstellung bearbeiten. Jede Gruppe kann gemeinschaftlich eine Seite für das Zine erstellen.
Lassen Sie die Schüler*innen abschließend ihre Lernerfahrungen teilen: Fragen Sie die Teilnehmer*innen, was sie aus dem Workshop/Unterricht mitgenommen haben. Fragen können sein: Welche neuen Aspekte und Funktionsweisen von KI habt ihr kennengelernt? Wo taucht KI in eurem Leben auf? Was sind die negativen/positiven Aspekte von KI? Wie fühlt ihr euch jetzt in Bezug auf KI (gestärkt, verängstigt, misstrauisch, …)? Wie wahrscheinlich ist es, dass ihr über das, was ihr in diesem Workshop gelernt habt, mit Menschen in eurem Umfeld sprechen werdet?
Für ein gedrucktes Zine:
Für ein digitales Zine:
Optional: