Shapes in Orbit – eine Annäherung an die Bilder von Emma Kunz

Die Arbeiten der Schweizer Künstlerin und Heilpraktikerin Emma Kunz (1892-1963) bilden in dieser Unterrichtssequenz den Bezugspunkt. Kunz’ abstrakte Bildfindungen waren für sie Werkzeuge ihrer Forschung und ihrer Praxis als Naturheilerin. In ihren Pendelbildern bilden sich geometrische Grundformen zu komplexen Gefügen. Das in ihren Zeichnungen geometrisch codierte Wissen schlägt den Bogen zur Technik des Creative Codings. Durch Addieren und Überlagern einfacher geometrischer Formen nähern sich die Schüler*innen an Strukturen und Farbklänge der komplexen Bildwelt von Emma Kunz heran. Die Erfahrungen und Resultate fliessen am Schluss in einer inszenierten Rauminstallation zusammen: Die Schüler*innen bauen mit Tischen, Tüchern, Pflanzen, Schnüren eine raumgreifende Installation und projizieren ihre Arbeiten darauf.

Dieser Teil ist Beitrag des Bundles „Creative Coding – Algorithmisches Denken als Teil eines gestalterischen Prozesses“ herausgegeben von Margot Zanni und Andreas Kohli.

Emma Kunz (1892-1963) war eine Schweizer Heilerin und Künstlerin.  Ihre so genannten Pendeltafeln waren nicht nur künstlerische Artefakte, sondern gleichzeitig auch therapeutische Medien. Ihre auf Millimeterpapier präzise herausgearbeiteten Zeichnungen bestehen aus Punkten und Linien, die sie zu geometrischen Formen verwob. Farb- oder Bleistiftlinien verdichten sich zu Rhomben, Polygonen und Hexagonen und stellen Energiefelder und Gegenstände des Zeitgeschehens dar. Im künstlerischen Prozess will sie „die Bereiche des Unbekannten über Ahnung, Vision, Einklang mit dem eigenen Körper, genaues Hinhorchen auf die Natur, Hinsehen auf Gestalt und Gestaltveränderung [zu] erkunden“ (Steiner 2006). Ihre Affinität zu Mathematik und Geometrie bildet im vorliegenden Unterrichtskonzept das Scharnier zum kreativen Kodieren auf p5.js. Ausgehend von einfachen geometrischen Formen – wie sie für p5.js typisch sind – werden durch deren Überlagerung, Wiederholung und Verschiebung zunehmend komplexere, abstrakte Strukturen generiert. Inspiriert von der atmosphärischen Dimension von Kunz’s Arbeiten, schaffen die Schüler*innen anschliessend Rauminstallationen, in welchen sie ihre generativen Arbeiten auf inszenierte Umgebungen im Schulzimmer projizieren und dadurch stimmungsvolle, immersive Welten erzeugen. Wir gehen davon aus, dass die ästhetische Oberfläche von Kunz’s Arbeiten aufgrund ihres virtuosen Umgangs mit geometrischen Strukturen, Anschlüsse an die ästhetischen Vorlieben der Jugendlichen bereit hält. Die Pendelbilder bieten aber nicht nur auf formal-ästhetischer Ebene Orientierung für den Arbeitsprozess der Jugendlichen, sondern interessieren auch im Kontext von New Age oder New Spiritualism. Denn auch in der Gegenwartskunst sind Einflüsse einer „New-Age-Spirituality“ zu beobachten, welche am Beispiel der Arbeiten von den zeitgenössischen Künstler*innen Korakrit Arunanondchai und Evan Ifekoya behandelt werden. Beide verfolgen spirituelle Zugänge und schaffen mittels raumgreifender Installationen und transzendentale Räume. Ihre Referenzbeispiele sind Anlass, um ganz generell über das Kunstverständnis zu diskutieren.

Doppellektion 1

A1.1 Einführung
Wir untersuchen drei Objekte: Eine ‚natürliche‘ Artischocke, ein ‚digitales‘ Smartphone und der 3D-Druck einer Zitronenpresse. Anhand dieser Objekte gehen wir der Verflechtung natürlicher und digitaler Prozesse nach. Am Beispiel der Zitronenpresse zeigen wir, wie Dinge, die wir im Alltag vorschnell mit der traditionellen industriellen Verarbeitung von Rohstoffen assoziieren, oft ebenso Resultat komplexer digitaler Prozesse sind. Am scheinbar natürlichen Wachstum der Artischocke, erklären wir, wie auch dieses, etwa durch ein digital gesteuertes Bewässerungssystem, in digitale Prozesse eingebunden stattfindet. Das Smartphone, welches wir nun eher der digitalen Sphäre zuordnen, ist Anlass um aufzuzeigen, wie sogenannte seltene Erden, die als natürliche Ressourcen beschränkt vorkommen, für dessen Herstellung notwendig sind. Ihr Abbau lässt zudem soziale und politische Verhältnisse thematisieren, unter denen Digitalität stattfindet (Arbeitsverhältnisse etc.). Ziel der Diskussion ist ein komplexeres Verständnis von Digitalität. 10‘

A1.2 Sprache des Codes
Wo begegnen wir Codes im Alltag? Codes werden hier weit und möglichst lebensnah gefasst, mögliche Aspekte der Diskussion betreffen etwa Jugendkulturen, Mode oder Geheimsprachen.
Anschließend betrachten Schüler*innen Arbeiten von Emma Kunz. Die Lehrperson stellt die Künstlerin vor. Sie thematisiert die in die Bildebene übersetzten Codes, die Verschlüsselung des Wissens über die Natur und Kunz‘ heilende Praktiken in ihren Bildern. 10‘

A1.3 Technische Einführung: Formen und Farben auf p5.js
In einer technischen Einführung lernen Schüler*innen die Basisfunktionen von p5.js. und das Login kennen. Dazu gehört ein Verständnis des Koordinatensystems, die Funktionen „setup“, „draw“, „createCanvas“ und „background“. Die Lehrperson erklärt die X- und Y-Koordinaten der Pixel und die Funktionsweise des Canvas im Vergleich mit einer realen Leinwand.

A1.4 Übung: Formen und Farben auf p5.js
In kurzen Aufgaben werden die Inhalte der Einführung einzeln oder in Tandems geübt und angewendet: ein Bild gestalten mit mindestens zwei verschiedenen Formen (ellipse, rect, triangle oder line), diesen Formen eine Kontur und Hintergrundfarbe zuweisen, einzelne Formen mit mouseX und oder mouseY animieren (Handout 4). 50‘

 

Doppellektion 2

A2.1 Lehrgespräch: Muster der Natur
Auf einem Tisch ausgebreitet liegen ein Bergkristall, eine Muschel, Farne, eine Artischocke, ein Romanesco etc.. Mit der komplexen Geometrie dieser Dinge lässt sich einerseits an die Übung A1.4 anknüpfen, indem nach Formen, Wiederholungen und Muster gefragt wird, andererseits lässt sich damit formal und inhaltlich zu Kunz überleiten, deren Arbeiten ebenfalls einen Naturbezug aufweisen. (Handout 05) 30’

A2.2 Technische Einführung: Angle Mode – Shapes in Orbit
Die Schüler*innen lernen die Funktion „rotate“ und Variablen kennen. Zur Einführung wird ein vorbereiteter Code am Beamer Schritt für Schritt notiert und erklärt, die Schüler*innen schreiben auf ihrem Computer mit. Im folgenden Auftrag variieren sie einen vorgegebenen Code und generieren ornamentale Bilder (Handout 6, Aufgabenstellung). 40‘

A2.3 Projizieren
Die Lehrperson demonstriert Möglichkeiten der Beamer-Projektion auf Wände und Objekte. Die Klasse experimentiert gruppenweise, wie Projektionen ihrer Werke auf Objekte und Oberflächen im Klassenzimmer wirken.

 

Doppellektion 3

A3.1 Lehrgespräch: Installation und Sound
In einem Lehrgespräch wird das Thema Installation erneut aufgegriffen. Mittels der künstlerischen Positionen von Korakrit Arunanonchai und Evan Ifekoya wird die Audioebene zusätzlich thematisiert. 15′

A3.2 Selbstständiges Arbeiten in Gruppen
In kleinen Gruppen generieren Schüler*innen das Bildmaterial für Projektionen der Rauminstallation. Zudem wählen sie aus einer Online-Sammlung geeignete sphärische Sounds aus. Ein Auftrag zur Gruppenarbeit wird schriftlich eingeführt. 75’

 

Doppellektion 4

A4.1 Aufbau der Installation
Nach einer gemeinsamen Sichtung der Videos werden Materialien wie Tücher, Styropor, Aluminiumfolie, Naturobjekte, Schnüre, Sitzkissen und Ventilatoren für die Installation vorgestellt. Tische dienen als Gerüst, um daran die Materialien zu befestigen. Sie experimentieren mit den Projektionen und proben die Präsentation ihrer Videos. 60’

A4.2 Präsentation: Vernissage
Die Schüler*innen machen eine kleine Vernissage inklusive Apéro. Ziel ist es die Arbeit der Schüler*innen zu würdigen. Zur Vernissage wird eine Parallelklasse eingeladen.

Die Schüler*innen erzählen von ihren Erfahrungen mit Creative Coding und geben ihren Mitschüler*innen persönliche Einblicke. 30’

Differenzierung A1.3
Sie lernen einfache geometrische Grundformen wie „ellipse“, „rect“, „triangle“ und „line“ zu codieren und diesen Kontur und Farbe zuzuweisen. Die zusätzlichen Funktionen „mouseX/mouseY“ erlaubt eine erste, direkte Möglichkeit der Interaktion. Unterstützend helfen den Schüler*innen folgende Handouts (Handout 1, Handout 2, Handout 3). 20‘

Differenzierung A2.3
Folgende Leitfragen sollen ein exploratives Vorgehen, resp. das Erproben von Varianten begünstigen: Was geschieht, wenn ich meine Arbeit in eine Ecke projizieren? Wie wirkt meine Arbeit, wenn ich sie auf dem Boden liegend an der Decke betrachten kann? Welche Gegenstände kann ich miteinbeziehen? Welche Schattenspiele sind interessant? In einer gemeinsamen Reflexionsrunde werden Erfahrungen und Entdeckungen geteilt. 20‘

Differenzierung A3.1
Korakrit Arunanonchai interessiert sich für die Traditionen rund um den Animismus in Thailand. In der Arbeit „Songs for dying / Songs for living“ verstärkt der Sound die bereits emotional geladenen Video- und Bildaufnahmen. Evan Ifekoya versteht sich als Künstler*in und Energiearbeiter*in, in „Resonant Frequencies“ arbeitet der verwendete Ton mit Vibrationen und soll im Körper Prozesse wie Entspannung und Heilung auslösen. 15’

Doppellektion 1
Nach A1.1 und A1.2 erklärt die Lehrperson wie man sich auf der Plattform p5.js anmeldet und die eigenen Codes speichert. Vor dem Start in die technische Einführung wird das Vorwissen der Schüler*innen abgefragt (Z.B. Scratch, Lego Mindstorms). Anschließend wird Lauren McCarthy, die Gründerin von p5.js, sowie die Community der Plattform p5.js vorgestellt. Später wird veranschaulicht, wie Emma Kunz durch Wiederholungen simpler Formen komplexe Bilder schuf. Links zu Resultaten von A3

Doppellektion 2
(A2.1) Schüler*innen verstehen, wie Emma Kunz Inspiration für ihre Werke fand. Objekte aus der Natur bilden eine Ausgangslage für geometrisch-abstrahierte Bildfindungen und ermöglichen einen Zugang zu Emma Kunz’s Arbeiten. Ihre Pendelbilder sind wesentlich von aus der Natur hergeleiteten Formeln Inspiriert. Darauf aufbauend können anspruchsvolle Themen wie Kosmos, Esoterik oder Spiritualität angeschnitten werden. Die Diskussion über Mustern in der Natur eröffnet weitere Themenfelder wie Fraktalgeometrie, der goldene Schnitt oder die Fibonacci-Folge.
(A2.2) Die Funktion „rotate“ und die Verwendung von Variablen eignen sich gut um Formen zu programmieren die formal an Kunz’ Arbeiten anschließen. Ein technisches Handout unterstützt die Schüler*innen dabei.

Doppellektion 3
(A3.1) Anhand der künstlerischen Positionen von Arunanonchai und Ifekoya werden Eigenschaften einer immersiven Rauminstallation besprochen.
(A3.2) Im weiteren Verlauf des Nachmittags steht das gruppenweise Generieren von Bildern und Animationen mit Hilfe der Handouts im Vordergrund. Auf einem zusätzlichen Handout finden sich weitere Beispiele für die Schüler*innen. Diese sollen zu weiteren Experimenten inspirieren. Die Lehrperson bereitet zudem eine Installation vor, mittels der die Schüler*innen ihre Arbeiten probeweise über Eck auf zwei Wände projizieren und in Kombination mit Sound-Beispielen erproben können. Vor Abschluß der Doppellektion senden sie die Codes ihrer Arbeiten und die gewünschten Sounds per E-Mail an die Lehrperson. Aus Zeitgründen erstellt die Lehrperson aus den Codes mittels Bildschirmaufnahmen Videos und kombiniert diese mit dem ausgewählten Sound.

Doppellektion 4
(A4.1, A4.2) Gemeinsam wird die Installation im Raum aufgebaut und mit den Animationen bespielt. Die digitalen Arbeiten finden so ihren Weg in den physischen Raum.

Die Schüler*innen arbeiten mit einem Laptop und den Browser Google Chrome. Für das Vorzeigen und Erklären von Codes benutzt die Lehrperson meist den Beamer. Für die abschließende Ausstellung werden mehrere Beamer benötigt. Begleitend zu den Inputs werden Handouts verteilt.

Zudem wird folgendes Material benötigt:

  • 3 Objekte (analog, digital, hybride Form)
  • (ausgedruckte) Bilder von Emma Kunz (siehe Website emma-kunz.com/de/museum)
  • Beispiele von künstlerischen immersiven Installationen
  • Computer mit Browser Google Chrome und Internetzugang zur Plattform p5js.org
  • Beamer und Lautsprecher
  • Sounddateien (siehe Website)
  • Stifte, Papier und Post-it
  • Für die Projektionen: Tische, Naturobjekte, Stoffe, Schnur, Klebeband, Folien, Sitzkissen, Ventilatoren, Scheren etc.
  • Snacks und Drinks für die Vernissage

Max. Teilnehmer

20

Dauer

4x zwei Doppellektionen à 90 min

Zielgruppen

Schüler*innen, Sek II

Benötigtes Vorwissen

Der Unterricht findet mit der Plattform p5.js statt.
Die Lehrperson benötigt Grundkenntnisse in JavaScript auf p5.js.
Als Vermittler*in ist es von Vorteil, wenn man sich im Vorhinein intensiv mit Codieren auseinandersetzt. Hilfreich ist besonders folgender Channel.

Erster Einsatzkontext

Gymnasium Uetikon, Kanton Zürich, Schweiz.

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